Kann ein Notar die Geschäftsfähigkeit einschätzen?

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Mittwoch, 10.05.2023 , geschrieben von EliteXPERTS-Redaktion

Notare beurkunden Rechtsvorgänge. Voraussetzung ist, dass die beteiligten Parteien geschäftsfähig sind. Damit stehen Notare bisweilen vor der Herausforderung, beurteilen zu müssen, ob die vor ihm sitzende Person geschäftsfähig ist und damit einschätzen kann, was beurkundet wird. Ist die Person offensichtlich nicht geschäftsfähig, muss der Notar die Beurkundung ablehnen. Im Zweifel muss der Notar entscheiden, ob er beurkundet oder nicht. Insoweit ist es weniger eine Frage, ob ein Notar die Geschäftsfähigkeit einschätzen kann, als vielmehr die Frage, wie er mit Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit einer Person umgeht.

 

Erkennt der Notar die Geschäftsunfähigkeit nicht, besteht das Risiko, dass die Beurkundung unwirksam ist. Für alle Beteiligten kann sich daraus eine unangenehme Situation ergeben, die gerade bei notariellen Vorgängen oft zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führt. Mit dem Begriff der Geschäftsfähigkeit sind im Beurkundungsrecht und bei der notariellen Tätigkeit eine Reihe von Fragen verbunden, die der Notar im Einzelfall berücksichtigen muss.

Was bedeutet Geschäftsfähigkeit?

Das Bürgerliche Gesetzbuch unterstellt, dass ein Mensch grundsätzlich geschäftsfähig ist. Es wird nicht im positiven Sinne definiert, wer geschäftsfähig ist. Vielmehr stellt das Gesetz umgekehrt darauf ab, wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Es geht also von einem Regel-Ausnahmeverhältnis aus und unterstellt, dass eine volljährige Person die für die Geschäftsfähigkeit erforderliche Reife und Verantwortung besitzt. Ist die Person minderjährig, verneint das Gesetz die Geschäftsfähigkeit, sofern diese Person bestimmte Altersstufen noch nicht erreicht hat.

 

Geschäftsunfähig ist danach derjenige, der das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (sogenannte natürliche Geisteskrankheit) und der Zustand seiner Natur nach nicht nur ein vorübergehender Zustand ist (§ 104 BGB).

 

Ist eine Person geschäftsunfähig, ist jede Willenserklärung dieser Person nichtig (§ 105 BGB). Wurde ein Rechtsvorgang notariell beurkundet, ist die Beurkundung unwirksam.

Welche Rolle spielt die Geschäftsfähigkeit bei der Beurkundung?

§ 11 Beurkundungsgesetz verpflichtet den Notar, vor der Beurkundung die Geschäftsfähigkeit der beteiligten Personen festzustellen. Fehlt einem Beteiligten nach Überzeugung des Notars die erforderliche Geschäftsfähigkeit, soll der Notar die Beurkundung ablehnen. Hat der Notar Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit, soll der Notar seine Zweifel in der Niederschrift feststellen. Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter schwer krank ist. Auch dann soll der Notar diesen Umstand in der Niederschrift vermerken und angeben, welche Feststellungen er über die Geschäftsfähigkeit der Person getroffen hat.

Ist Testierfähigkeit dasselbe wie Geschäftsfähigkeit?

Will jemand ein notarielles Testament errichten oder einen Erbvertrag beurkunden, prüfen Notare die Testierfähigkeit. Testierfähigkeit bedeutet die rechtliche Fähigkeit, eine wirksame letztwillige Verfügung zu verfassen. Sie ist ein besonderer Fall der allgemeinen Geschäftsfähigkeit. Insoweit sind nur unbeschränkt geschäftsfähige Person auch unbeschränkt testierfähig.

 

Wer also unter einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leidet oder wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung außerstande ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann kein Testament errichten (§ 2229 Abs. IV BGB).

 

Steht eine Person unter Betreuung, kann diese unabhängig von einem eventuell vom Vormundschaftsgericht angeordneten Einwilligungsvorbehalt eigenständig ein Testament errichten, sofern diese Person die erforderliche natürliche Testierfähigkeit, so wie sie in § 2229 Abs. IV BGB umschrieben ist, besitzt.

Was ist ein „lucida intervalla“?

„Lucida intervalla“ bedeutet „lichter Augenblick“ und bezeichnet einen Moment, in dem eine an sich geschäftsunfähige Person vorübergehend einen lichten Augenblick erlebt und anscheinend weiß, wer sie ist und was sie tut. Wenn sich damit die Geschäftsfähigkeit begründen ließe, könnte die Person rechtsgeschäftlich wirksam handeln. Ob die Person in einem lichten Augenblick wirklich rechtsgeschäftlich rechtswirksam handeln kann oder nicht, ist in der Rechtsprechung umstritten.

 

Für die Wirksamkeit wird der Wortlaut des § 104 BGB angeführt, wonach nur derjenige geschäftsunfähig ist, dessen Zustand geistiger Störung dauerhaft ist. Gegen die Wirksamkeit wird angeführt, dass der Gesetzgeber diesbezüglich keine Regelung getroffen habe. Praktisch schwierig ist es, dass ein lichter Augenblick von der Partei bewiesen werden muss, die sich darauf beruft. Es dürfte für einen Sachverständigen ausgesprochen schwierig sein, bei einem beispielsweise unter schwerwiegender Demenz leidenden Person einen lichten Augenblick herauszustellen und zu begründen.

 

Demgemäß hat beispielsweise das OLG München (Beschluss vom 1.7.2013, Az. 31 Wx 266/12) unter Verweis auf das betreffende Sachverständigengutachten entschieden, dass ein lichter Augenblick bei einer chronisch-progradienten Demenz ausgeschlossen sei. Die Entscheidung wird wiederum insoweit kritisiert, als es nach dem Bürgerliche Gesetzbuch nicht auf die Krankheit im medizinischen Sinne ankomme, sondern vielmehr auf die Fähigkeit zur Willensbildung. Diese hänge von der Tagesform ab und sei auch durch Medikation wieder herstellbar.

Wie wirkt sich die Betreuung auf die Geschäftsfähigkeit aus?

Früher wurden Volljährige entmündigt und ein Vormund bestellt, wenn sie wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche außerstande waren, rechtsgeschäftlich zu handeln. Eine Vormundschaft gibt es bei volljährigen Personen nicht mehr. Stattdessen wird vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt, wenn die Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.

Der Betreuer hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, allerdings nur in dem Aufgabenkreis, für den er bestellt ist. Im Gegensatz zur früheren Vormundschaft wird durch die Betreuung die Geschäftsfähigkeit des Betreuten nicht berührt. Ein Betreuter, der noch nicht per se geschäftsunfähig ist, behält die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte abzuschließen.

 

Das Familiengericht kann aber ausnahmsweise anordnen, dass die betreute Person zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf. Voraussetzung für die Anordnung eines solchen Einwilligungsvorbehalts ist, dass der Vorbehalt zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist.

 

Ein Einwilligungsvorbehalt kommt nicht in Betracht, wenn es um höchstpersönliche Willenserklärungen der betreuten Person geht. So kann die betreute Person ungeachtet ihrer Betreuung eine Eheschließung vollziehen oder Verfügungen von Todes wegen treffen. Gleiches gilt für die Anfechtung eines Erbvertrages oder die Aufhebung eines Erbvertrages (§ 1903 BGB). Die Entscheidung, sich scheiden zu lassen, kann hingegen mit einem Einwilligungsvorbehalt verbunden werden.

Kann ein Notar die Geschäftsfähigkeit überhaupt einschätzen?

Notare sind Juristen. Sie verfügen nicht über das notwendige medizinische Fachwissen, um beispielsweise das Ausmaß einer Demenzerkrankung und deren Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit einer Person zuverlässig einzuschätzen. Dieser Umstand kommt auch in § 11 Beurkundungsgesetz zum Ausdruck. Hat der Notar die Einschätzung, dass einer Person die erforderliche Geschäftsfähigkeit fehlt, soll er die Beurkundung ablehnen. Die Vorschrift ist als Sollvorschrift ausgestaltet und stellt es in das Ermessen des Notars, zu beurteilen, ob er beurkundet oder nicht beurkundet. Hat er Zweifel, soll er in offensichtlichen Fällen die Beurkundung ablehnen oder zumindest seine Zweifel in der Niederschrift vermerken.

 

Zweifel können sich daraus ergeben, dass das äußere Erscheinungsbild oder das Verhalten eines Beteiligten Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit wecken. Dazu wird der Notar sich mit den Beteiligten unterhalten, sich eventuell mit dem Hausarzt in Verbindung setzen oder sich im Beurkundungstermin ein aktuelles ärztliches Attest vorlegen lassen. Soweit er wegen seiner Zweifel zur Geschäftsfähigkeit in die Urkunde einen Vermerk aufnimmt, sind die Gerichte nicht an diese Feststellungen gebunden.

Urteil des OLG Hamm

In einer sehr anschaulich begründeten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 13.7.2021, Az.10 U 5/20) sehr überzeugend dargelegt, unter welchen Voraussetzungen ein beurkundeter Vertrag im Nachhinein wegen der Geschäftsunfähigkeit der beteiligten Person für unwirksam erklärt werden kann. Dabei ging es darum, dass der Vater mit einem seiner Söhne den Verzicht auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht beurkundet hatte. Der insoweit enterbte Sohn war später der Ansicht, dieser Vertrag sei durch einen späteren Aufhebungsvertrag gegenstandslos geworden, so dass er sehr wohl Pflichtteilsansprüche habe. Es sei zu vermuten, dass der Vater bei der Beurkundung des Aufhebungsvertrages geschäftsfähig gewesen sei. Wäre der Notar von der Geschäftsfähigkeit seines Vaters nicht überzeugt gewesen, hätte er eine Beurkundung nicht vornehmen dürfen.

 

Das OLG Hamm stellte klar, dass dem enterbten Bruder kein Pflichtteilsanspruch zustehe, da der Verzichtvertrag im Nachhinein nicht wirksam aufgehoben wurde. Zu diesem Zeitpunkt sei der damals bereits 86-jährige Erblasser nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Seine Demenz sei durch ein Sachverständigengutachten klar nachgewiesen worden. Zudem habe der enterbte Sohn nicht dargelegt, auf welche Art und Weise sich der Notar vor oder bei der Beurkundung von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt haben soll. Insbesondere fand sich im Vertrag kein Vermerk des Notars.

 

Wer durch krankhaftes Empfinden, krankhafte Vorstellungen oder Gedanken und durch unkontrollierte Triebe und Antriebskräfte oder die Einwirkung Dritter derart übermäßig beherrscht werde, dass von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden könne, sei geschäftsunfähig. Gerade eine Demenz erfasse die gesamte Persönlichkeit und damit alle von der Person vorgenommen Rechtsgeschäfte.

 

Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit sei der enterbte Sohn. Für die Feststellung der Geschäftsunfähigkeit reiche im Prinzip „ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“. Da die Sachverständige im Hinblick auf die Vorgeschichte des Erblassers dessen psychische Gegebenheiten zuverlässig beurteilen konnte, gab es an der Geschäftsunfähigkeit keine Zweifel.

Alles in allem

Will eine offensichtlich geschäftsunfähige Person einen rechtlichen Vorgang beurkunden, wird der Notar im Regelfall die Beurkundung ablehnen. Hat der Notar Zweifel, wird er gleichfalls ablehnen oder in der Urkunde vermerken, dass Zweifel bestehen. Beurkundet der Notar den Vorgang und vermerkt keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit, ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Beurkundung wirksam ist und eine spätere Anfechtung des Vorgangs nur noch im Ausnahmefall in Betracht kommt.

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